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Freitag, 8. Mai 2020

DER ALTE AM FENSTER soll feiern??

ER denkt heute sehr weit zurück.
Zurück an eine Zeit, die für die meisten nicht selbst erlebte Geschichte ist, aber ihr ganzes Denken und Leben bestimmt.
Heute ist nämlich ein grosser Feiertag.
Steht jedenfalls in der Zeitung.
Für viele mag es zutreffen, aber für jeden mit einer anderen Begründung. 
Man kann vieles feiern.
Also, da es nun staatlich verordnet ist, auch ich.
Heute, vor 75 Jahren, wurden wir befreit.
So erzählt und schreibt man es jedenfalls.
Aus meiner Sicht ist es auch korrekt.
Mich interessiert in diesem Zusammenhang nur WIE ICH  und von WAS ICH befreit wurde.

Fangen wir mal an.
Erstens von meiner Freiheit.
Dann von allem was ich besass.
Im Laufe der Zeit kamen noch so unwichtige Dinge wie Würde, Ehre, Selbstbewusstsein, Stolz und auch an Gewicht hinzu.
Vieles davon habe ich nie mehr zurück bekommen.

Das letztere wohl.
Als ich aus der Gefangenschaft kam, besass ich eine Konservendose mit einem Stück Draht daran.
Das war mein Essgeschirr.
An Gewicht hatte ich 98 Pfund.
Das war soviel, wie ich heute an Kilo habe.
Wobei zu bemerken wäre, diese habe ich mir selbst mühselig erarbeitet und angefressen. 
Aber ansonsten befreite man mich von allem was ich besass. Das erste wonach man frug, war eine Uhr.
Ich hatte keine. Damals war es nicht alltäglich eine eigene Uhr zu besitzen.
Dafür hatten meine Befreier an jedem Arm mindestens  10 Stück. Also brauchte ich keine. Wie viel Uhr es war, war sowieso unwichtig man sagte mir schon was ich wann zu machen hätte.

Von  der Angst getötet zu werden, wurde ich NICHT befreit.
Im Gegenteil.
Ich hatte nie vor diesem Befreiungstag so viel Angst zu sterben, als nachher oder jetzt wo „doch  alles gut ist“.

Es ging mir jeden Tag VOR  der Befreiung besser als nach diesem Tag.
Und dieser Zustand hielt  dann noch Jahrzehnte an.
Befreiung hat was mit Freiheit zu tun. 
Ich kann da nur mein eigenes Resümee ziehen.
Ich war vor diesem ominösen 8. Mai 1945 nicht unfreier als heute.
Ich werde heute vielleicht mehr überwacht, gegängelt oder schikaniert als davor.
Ich bin älter geworden.
Ich habe die Zeit davor erlebt.
Die meisten Menschen kennen sie nur aus dem was ihnen,  damals auch nicht gelebte, erzählt haben.
Das was die Befreier erzählen ist legitim, denn sie haben gesiegt und uns vernichtet.
Der Sieger hat immer recht und wie alles, es wird von Jahr  zu Jahr „rechter“.
Nicht im politischen Sinne aber im Sinne der Geschichtsschreibung.

Nun aber frage ich mich.
Was soll ICH eigentlich heute feiern?
Das ich noch lebe?
Das verdanke ich mit Sicherheit nicht meinen Befreiern. 
Es mag Menschen geben, die das anders sehen.
Die dürfen von mir aus auch heute gern feiern.
ICH sehe keinen Grund dafür.
Denn ich vergleiche Tatsachen die mich betreffen und selbst erlebt habe, nicht mit Märchen die andere als Tatsachen mir erzählen wollen. 
Mich interessiert in diesem Zusammenhang mein eigenes Leben. Denn nur das  zählt für mich.
Wenn ich heute was feiern müsste, wäre es die Tatsache, dass ich trotz meiner „Befreiung“  und aller Widrigkeiten immer noch lebe und mit mir selbst zufrieden bin. 
Und dafür brauche ich niemandem DANKE zu sagen.

Werde mir jetzt einen trinken gehen. 
Nicht zum feiern dieses Tages, sondern das ICH trotz „Befreiung“ immer noch lebe.

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