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Mittwoch, 9. Mai 2018

Das, was man Leben nannte


Ein ganz beliebter Aufenthalt waren für einige Männer, die zahlreichen Wettbüros. 
Verräucherte Räume, ein paar Leute mit Telefone da drin und eine Menge anderer die ihr Glück versuchten.
Pferderennen war die grosse Mode und das darauf wetten.
Ich habe oft an der Tür gestanden, rein durfte man als Kind nicht, und in die Gesichter geschaut.
Viele verwetteten das letzte Geld, wenige gewannen etwas.
Dabei waren die Gewinne immer nur im zweistelligen Bereich. 
Es wurde in der ganzen Welt gewettet. 
Irgendwo lief immer ein Rennen.
Ergebnisse kamen durchs Telefon rein.
Reich ist niemand dort geworden.

Der meiste Einkauf zum Lebensunterhalt  fand in einer Markthalle statt. 
Diese war am Weddingplatz, etwa 200 mal 200 meter gross. 
Fest installierte Stände. Vielleicht 2-300 in der Anzahl.
Z.B. Alle Fleischer nebeneinander.  
Man konnte also mit einem Blick zwei, drei Angebote überblicken und danach seine Wahl treffen.
Ich nenne das mal "praktizierte Marktwirtschaft." 
Konkurrenz brachte den Preis und den Umsatz.

Bei den Fischhändlern waren die meisten Fische in grossen, mit Wasser gefüllten, Glasbehältern. 
So 2x1x1 meter gross.
Fische warem meist noch lebendig.
Man suchte sich seinen Fisch aus.
Mit einem Köcher wurde der rausgeholt, getötet, ausgenommen und geschuppt ehe er in die obligatorische Zeitungstüte kam.
Nur die Aale waren mir nicht so ganz geheuer.

Gemüse und Obst, natürlich immer  frisch, in grosser Auswahl.
Wenn es damals auch nicht diese Vielfalt  wie heute gab, aber auf jeden Fall besser und frischer.
Da kannte man noch nicht diese Gifte.
War Saison von irgend etwas, wurde mehr gekauft und dann eingekocht.

Aber auch manches andere gab es dort.
Eben alles was ein Haushalt braucht. 

Meine Eltern gingen jeden Samstag dort einkaufen.
Ich mit. Freute mich schon immer darauf.
Denn ich ging NICHT mit rein.
Wartete draussen. 
Die meisten Menschen kamen mit einem Fahrrad. 
Dann hin und die Frage: 
„Darf ich auf ihr Fahrrad aufpassen?“
Wenn ja, gab es nachher einen Sechser. 
Oder auch nichts. 
So lernte ich auch den Geiz mancher Menschen kennen.

Damals wurde auch viel selbst genäht und geschneidert.
Ich durfte immer die Schnittmuster ausrädeln.
Aufbügelmuster wurden innerhalb der Frauenriege getauscht.
Genau wie ich mit meinen Sammelbildern  die man bei den Zigarettenpackungen als Zugabe bekam. 
Auch Maikäfer oder Murmeln waren beliebte Objekte.
Überhaupt, Murmeln spielen war der Hit.
Jeder hatte immer welche in irgend einer Hosentasche.
War man sehr gut, hatte man auch ein paar Glaskugeln.

Dann kamen die Strassensammlungen des WHW .
Hier bekam man, bei einer Spende von 20 Pfg. in die Sammelbüchse, immer etwas geschenkt.
Das waren jedesmal verschiedene Serien. 
Verkehrszeichen, Figuren, Märchen usw.
Diese wurden gesammelt und man versuchte immer eine Serie voll zu bekommen.
Überhaupt, wurde früher viel mehr gesammelt.
Ich selbst fing damals auch das Briefmarken sammeln an.
Bis heute war es eine meiner liebsten Beschäftigungen.
Wie oft habe ich mich darin später vertieft und  mich entspannt.
Es gab mir meine Ruhe und meine Welt in der nur ich allein war. 
Vor kurzem habe ich bald alles verkauft.
Es gibt keine Weitersammler und das Geld konnte ich gut gebrauchen. 
Es war zwar mein Lebenswerk, aber der Erlös ergab nur einen Bruchteil des investierten Kapitals. 
Heute gilt sammeln nicht mehr als Hobby, weil man nichts daran verdienen kann.
Die Welt ist auch daran ärmer geworden.
Trotzdem tut mir keine Mark leid.
Würde sofort wieder damit beginnen.

Das Geld?
Na ja. Ich bekam in der Woche 25 Pfennig Taschengeld.
Für all meine Bedürfnisse.
Eine Kugel Eis kostete 5 Pfg.
Ein Kinobesuch, nachmittags, 25 Pfg.

Mein Traum war ein eigenes Fahrrad.
Eines Tages nahm mich mein Vater an die Hand.
Wir gingen zum grössten Fahrradhändler Berlins.
"Machnow" hiess das Geschäft
Dort sagte mein Vater zu mir: „was für ein Rad möchtest du?“
Ich war baff.
Gesucht, verworfen, neu zusammengestellt, ich war im Himmel.
Das Endprodukt, mein Traumrad,  kostete dann: 98,00 RM
Dann gingen wir wieder raus????????
Draussen sagte mein Vater zu mir.
„Was man im Leben will, dafür muss man arbeiten.Spare die Hälfte selber  an, die andere bekommst du dann von mir“

So lernte ich sparen.
Auf andere Fahrräder aufpassen, auf Kino verzichten, Briketts (Kohlen) austragen, manchmal 4 Etagen hoch, immer mit 25 kg auf dem Rücken, Zeitungen nachmittags austragen (es gab  täglich 2 Ausgaben der Tageszeitungen) Botengänge machen, usw.
Da war ich etwa 12 Jahre alt.

Ich habe ein knappes Jahr gespart.
Da hatte ich immer noch keine 50,00RM zusammen.
Es fehlte nicht mehr allzu viel.
Aber mein Vater legte dann etwas mehr drauf und ich bekam endlich mein Fahrrad.
Das wurde von mir immer  mit in die Wohnung genommen.
Auf der Schulter zwei Etagen hoch.
In der Küche deponiert. (wo sonst?)
Wenn ich nun etwas holen musste, auch wenn es nur gegenüber in der Strasse war, ohne mein Fahrrad ging nichts mehr.
Also Rad auf die Schulter. Treppen runter, zur anderen Strassenseite gefahren, eingekauft, zurück über die Strasse gefahren, Rad zwei Etagen hoch getragen. 
(und geputzt:-)))))))

Vor meinem Fahrrad hatte ich ein altes Rad. 
Ein Einzelstück. Da wurde in der  Nabe ein Nagel montiert und ich führte mit einem Stock das Rad vor mir her.
Das immer alles im Laufschritt. Kurvenreich um alle Passanten herum.
Wenn ich so überdenke, bin ich eigentlich in meinem privaten Leben als Kind nie normal gegangen. 
Fällt mir jetzt im Nachhinein so ein.

Vor allem, ich habe gespielt.
Ich habe meinen Kopf und meine Phantasie benutzen müssen.
Heute???????
Wir wollen dieses Thema lieber nicht anschneiden.




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