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Dienstag, 21. Oktober 2014

Erinnerungen (6)



Wir erreichten  die Schweiz.
Ziel war Mailand.

Dazu mussten wir über den Gotthardpass.
Das war damals eine Schotterstrasse und eine der wenigen Verbindungen in den Süden. Somit auch sehr stark befahren.
Was solls? 
Ich war ein geübter Autofahrer. Immerhin war mein Führerschein schon 3 Tage alt.
Alles lief problemlos.
In einer endlosen Autoschlange fuhren wir der Passhöhe entgegen.
Ca. 5 km vor dem Scheitelpunkt allgemeiner  Halt.
Das dauerte. Alle stiegen aus. Von oben wurde die Nachricht durchgegeben:
Bauarbeiter hatten auf der Passhöhe die Felsen gesprengt. Dabei wurde die Fahrbahn verschüttet. Diese musste erst geräumt werden. Dauer.... Kann länger dauern!
Es dauerte auch länger. Und wie!!!!!!
Man unterhielt sich. Für die Kinder hatte irgend jemand was zum knabbern. 
Eine gelöste Atmosphäre. ( im Gegensatz zu heute!)  
Wo kommen sie her?  Wo wollen sie bin? Man unterhielt sich in den folgenden Stunden.
Es fing an zu regnen.
Es wurde dunkel.
Nach 4-5 Stunden ging es langsam weiter.

Das Auto vor mir, ein sehr netter Herr,  kam an mein Fahrzeug und sagte folgendes:
" Wenn das gleich weiter geht, rasen alle los. Das sind alles Schweizer. Bergerfahren.
Lassen sie sich um Gottes Willen nicht verrückt machen. Fahren sie so gut sie können, bleiben immer am rechten Strassenrand. Sie kommen auch so rauf und auf der anderen Seite wieder runter.
Wenn sie aber einen Rat von mir annehmen möchten. Wenn  es bergab geht, der erste Ort den sie erreichen , ist Airolo. Da müssen sie durch. In der Mitte des Ortes gibt es eine scharfe Linkskurve. Links steht eine Kirche, und rechts ist ein  Gasthof. Bitte halten sie dort an, und fahren morgen früh weiter. Es ist zu gefährlich für sie"

Hatte ich vernommen.
Die Ralley ging los. Allen war ich zu langsam. Logisch! Ich wurde überholt. Regennasse Fahrbahn mit Dunkelheit.  Es nervte.
Aber ich liess mich auch nicht verrückt machen. Ausserdem war ich  noch jung und belastbar.

Airolo kam in Sicht.
Da, links  die Kirche, rechts der Gasthof. 
Ehrlich, ich konnte auch nicht mehr.
Anhalten so gut es ging.
Die Gaststube, knüppeldicke voll. Tabaksqualm zum schneiden. Stimmengewirr. Sinnlos.
Meine Frau und ich gaben es auf, da rein zu kommen, drehten uns gerade um, da schrie eine Serviererin aus der Menschenmenge: 
" Hey Du da Deutscher, ich warte auf Euch"!
?????????????
Bitte?
" Na da seids  ja endlich. Der Herr Doktor " sowieso "  hat schon Zimmer für euch bestellt. Er sagte nur: Es ist ein Ehepaar. Deutsche mit Kleinkind."

Um es kurz zu machen.
Es gab in einer Ecke noch was Platz. Es gab was zu essen. Es gab ein Zimmer für uns mitten in dieser Regennacht. Wir fielen um und schliefen erschöpft ein.
Kein Gedanke mehr.

Irgend etwas weckte mich am nächsten Morgen.
Ich blinzelte.
Strahlender Sonnenschein. Geöffnete Balkontüren. Ein herrlicher Blick in das Tal mit der weiterführenden Strasse.
Was hatte mich wach gemacht?
Eine schuldbewusste junge Frau deckte für uns gerade auf dem Balkon den Frühstückstisch. !!!!!!!!!!!!!
Ich habe eigentlich wenige mich so glücklich machende Morgen in meinem ganzen Leben  erlebt. 

Das schönste kommt noch.
In Anbetracht, der auch damals schon  horrenden Preise in der Schweiz, kürzte ich schon im Geiste meinen Urlaub  drastisch.
Es wurde gefrühstückt, noch etwas eingepackt, und um die Rechnung gebeten.

Als Antwort bekam ich zu hören:
" Der Herr Doktor ist uns bekannt. Er fand ihren Wagemut, ihre Begeisterung und auch ihre Vernunft bewundernswert. Die Übernachtung und alle sonstigen Kosten hat er übernommen und bezahlt die beim nächsten Besuch bei uns.
Und wir, von unserem Haus, erlauben uns ihnen ein Lunchpaket für die Weiterreise mit zu geben.
Eine gute Fahrt!" 



Jetzt wo ich das schreibe, habe ich noch, wie damals, Tränen  in den Augen.

Ich habe leider nie mehr etwas von diesem Herrn gehört. Er wird auch nicht mehr leben.
Aber vielleicht hat er geahnt oder gespürt, das er 3 Menschen unheimlich glücklich gemacht hat.
Ich rufe ihm heute noch zu:
Danke!
Was er vielleicht nicht weiss, aber nach meine Erlebnissen aus dem Krieg, hat er mich in meiner Denkweise gegenüber Menschen, grundlegend verändert.

Vielleicht ist er mit Schuld dran, das ich einige Jahre später, vom ADAC als " Ritter  der Landstrasse " für unzählige Hilfeleistungen ausgezeichnet wurde.

Leider sind heute Worte wie " Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft oder Verständnis " aus dem Sprachgebrauch der Menschen verschwunden.

Verschwunden mit einer anderen, aber bestimmt nicht schlechteren, menschlerischen ,Epoche. 

Wie sagte meine Oma immer? 
" ich vermisse die gute, alte Zeit" 

Heute weiss ich was sie damals meinte.


( Fortsetzung folgt ) 





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